Online-Visionäre
Abgebloggt
Die deutsche Blog-Szene will eine Alternative zu den etablierten Medien werden. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke.
Von Johannes Boie
Abgebloggt: In Deutschland bleiben Weblogs hinter ihrem Potenzial zurück. Foto: iStockPhoto | |
Eine junge Frau ruft bei ihrem Friseur an und fragt, ob die Räume des Haarschneiders mit W-LAN ausgestattet seien. Die Friseurin am anderen Ende der Leitung ist überfordert. Nein, sagt sie, wir verwenden Schwarzkopf, kein W-LAN. Ende der Geschichte. Finden Sie weder interessant noch lustig? Deutschlands bekanntestem Mainstream-Weblog, Spreeblick, war diese Anekdote einer Berliner Bloggerin eine Verlinkung an prominenter Stelle wert.
Gewiss, das ist nur ein Beispiel. Aber eines das zeigt, wo Weblogs einzuordnen sind. Knapp 100 der chronologisch geführten Netz-Tagebüchern prägen in Deutschland das Bild von Weblogs - eines der bekanntesten davon ist Spreeblick. Rund 100 000 weitere Weblogs sind bestenfalls öffentlich einsehbare und dennoch private geführte Tagebücher, denen jede gesellschaftliche Relevanz fehlt.
Keine Relevanz
Innerhalb eines geschlossenen Zirkels über Außenstehende zu lachen, ist natürlich nicht unbedingt schlimm. Wenn man allerdings vorhat, diesen abgeschlossenen Zirkel zu vergrößern, ist es nicht besonders klug.
Und doch ist Vergrößerung das erklärtes Ziel der deutschen Blog-Szene: Man will eine Alternative zu den etablierten Medien werden. Großes Vorbild sind dabei die USA, wo Blogs in den letzten sieben, acht Jahren zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor der öffentlichen Meinungsbildung geworden sind.
Schon vor zwei Jahren hat dort das renommierte Finanzmagazin Fortune acht Blogger "die man nicht ignorieren kann" im Blatt vorgestellt. "Citizen Journalism" (Bürgerjournalismus) heißt das Stichwort, das auch in Deutschland zum Lieblingsvokabular selbsternannter Online-Visionäre gehört.
Dabei wird hierzulande gerne übersehen, dass die Ausgangssituation in Deutschland eine grundlegend andere ist als in den Vereinigten Staaten. Die Medienlandschaften unterscheiden sich stark.
"Öffentlicher Rundfunk spielt in den USA eine wesentlich geringere Rolle als in Deutschland", erklärt Jan Schmidt, bloggender Kommunikationswissenschaftler der Universität Bamberg. Die typische Zielgruppe von Blogs - gebildet und medienkritisch - habe daher in den USA einen größeren Bedarf an unabhängigen Medien.
Keine Initialereignisse
Der Präsidentschaftswahlkampf 2004 und die amerikanische Intervention im Irak verstärkten das Bedürfnis der amerikanischen Bevölkerung nach neuen Informationsquellen. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die technischen Voraussetzungen für Blogs in den USA ein Niveau erreicht hatten, das es auch wenig versierten Nutzern einfach machte, online zu publizieren.
In Deutschland, so Schmidts Resumee, habe es weder vergleichbare Initialereignisse gegeben, noch sei das Bedürfnis nach alternativen Informationsmöglichkeiten so hoch wie in den Vereinigten Staaten.
Hinzu kommt, dass sich der Teil der deutsche Bloggerszene, der überhaupt wahrgenommen wird - intern spricht man stolz von "Blogosphäre" - in dauerhaftem Clinch befindet. Jeder Schritt auf dem langen Weg der Professionalisierung wird kritisch beäugt.
Als der Betreiber des Weblogs Spreeblick, Johnny Haeusler, mit anderen Netzaktivisten die Plattform "adical" zum Vertrieb von Werbung auf Blogs gründete, musste er sich teilweise wüste Kritik aus den eigenen Reihen gefallen lassen.
Haeuslers Fehler: Ausgerechnet der wegen Kollaboration mit den chinesischen Behörden harsch kritisierte Konzern Yahoo war einer der ersten Vermarktungspartner von adical. Ein Fauxpas in der mehrheitlich werbe- und konsumkritischen Szene der Weblogs.
"Andere Spielregeln"
Die "anderen Spielregeln", die laut adical in Blogs gelten und die man Unternehmen nahe bringen möchte, hatte man also selber nicht verstanden. Der andauernden Selbstzerfleischung liegt etwas Trauriges inne, denn Weblogs haben großes Potential. Zahlreiche Nischen warten auf hochwertige Inhalte.
Das literarische Blog 500beine des NRW-Literaturpreis-Gewinners Andreas Glumm, das medienkritische Bildblog des FAZ-Journalisten Stefan Niggemeier und seines Kollegen Christoph Schultheis zeigen genauso wie das Promi-Blog Viply, dass sich konsequente Beschränkung auf ein Thema lohnt.
Deutsche Leser wollen spezialisierte Angebote zu ihren Lieblingsthemen anstatt eines weiteren Versuches, klassische Zeitungen zu imitieren. Aus der Gesamtheit dieser Spezial-Blogs könnte sich nicht zuletzt durch technische Verbindungsmöglichkeiten eine Gesamtheit der Blogs formen - und da wäre sie dann, die viel beschworene Gegenöffentlichkeit.
Bis es soweit ist, gilt das Fazit des Kommunikationswissenschaftlers Schmidt. Der umschreibt die Misere höflich. Die Öffentlichkeit von Weblogs bestünde in ihrer technischen Zugänglichkeit für jedermann. Keinesfalls aber besteht sie in ihrer gesellschaftlichen Relevanz.
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